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Das Vertraute im Fremden

Charlotte Schmitz ist eine bildende Künstlerin, deren fotografische Praxis stark auf Zusammenarbeit und Nähe ausgerichtet ist. Sie studierte Dokumentarfotografie in Hannover (BA) und visuelle Kultur (MA) in Kopenhagen. Charlottes Arbeiten sind in verschiedenen internationalen Medien zu sehen, darunter The Washington Post, Courrier Internationale, Der Spiegel und viele andere. Sie hat an zahlreichen Gruppenausstellungen auf großen internationalen Fotofestivals teilgenommen und Einzelausstellungen in Städten wie Innsbruck, Istanbul, Hiroshima, Sofia und Rochester veranstaltet. Charlotte ist die erste Preisträgerin des FotoEvidence W Award für ihr 2019 veröffentlichtes Buch La Puente. Charlotte lebt derzeit an der Ostsee in der Nähe von Flensburg.

Im Rahmen des Deutsch-Dänischen Interreg Projektes „Die Fremden – De Fremmede“ präsentiert sie nun erstmals in Deutschland das gerade erschienene Buch zu ihrem jüngsten Projekt „Balat“. Am Dienstag, den 28. Oktober 2025 stellt sie um 19.00 Uhr in der Stadtbücherei Niebüll ihre Arbeit vor.

Diese Serie zu diesem Projekt besteht aus Fotografien, die Charlotte Schmitz über einen Zeitraum von über zehn Jahren, von 2012 bis 2025, von Freunden und Familien in Istanbuls historischem Stadtteil Balat aufgenommen hat. Sie ist nach dem Stadtteil selbst benannt, als Ode an diesen Ort, den Charlotte ihre zweite Heimat nennt.

(Auszug aus einem Interview mit dem Vakuum Magazin Berlin: „Als die 24-Jährige Charlotte Schmitz 2012 als Fotojournalismus-Studentin zum ersten Mal nach Istanbul reiste, hatte sie noch keine Vorstellung von der lebenslangen Beziehung, die sie mit der Stadt eingehen würde. Aufgewachsen bei Flensburg, der nördlichsten Stadt Deutschlands, war Charlotte eine Fremde, als sie im historischen Stadtviertel Balat zufällig auf Familien traf, die sie herzlich zu sich einluden. Aus flüchtigen Begegnungen wurden enge Freundschaften. Über mehr als ein Jahrzehnt hinweg fotografierte sie Frauen, Kinder, Innenräume und Feierlichkeiten in diesem eigenwilligen Viertel, das für seine Vielfalt und die pastellfarbenen Holzhäuser bekannt ist.

Balat verkörpert als Teil des kosmopolitischen Istanbuls steten Wandel, Zerbrechlichkeit, Anpassungsfähigkeit, Widerstandskraft und Fluidität. Im Laufe der Jahrhunderte hat das Viertel viele Kulturen verinnerlicht. Einst Zentrum der jüdischen Gemeinde, lebten hier später vor allem Türken, Armenier und Griechen. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts kamen kurdische Familien, Roma-Gemeinschaften und viele andere im Zuge innerer Migration nach Balat und bereicherten die kulturelle Vielfalt. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat die Gentrifizierung Balat erneut tiefgreifend verändert: Historische Häuser wurden für den Tourismus neu gestrichen, die Mieten stiegen rasant, langjährige Bewohnerinnen und Bewohner wurden verdrängt.

Die Porträts der (…)  Balat-Serie entstanden inmitten dieser tiefgreifenden sozialen Umbrüche. Veränderungen, die sich in den porträtierten Menschen spiegeln: Sie erschüttern zwischenmenschliche Beziehungen, schwächen verwandtschaftliche Netzwerke und verändern das Verhältnis der Menschen zu den Orten, die sie bewohnen. Und doch sind die Porträts Momentaufnahmen der Gewissheiten und des Vertrauens, eingefangen in lauten wie leisen Gesten. Die Verbindung, die Charlotte zur Nachbarschaft, den porträtierten Freundinnen und Freunden, aufgebaut hat, schafft eine Gegenerinnerung, ein Gegengewicht zum allmählichen Vergessen, das das Gebilde unserer Zeit aufzulösen droht. In der Welt von Balat ist der Alltag durchdrungen von Lebensfreude. Als wäre jeder Augenblick einzigartig, farbenfroh, jugendlich, mutig, voller Unsinn, Fürsorge und Liebe. Die Menschen kuscheln, kichern und feiern das Leben in Übergangsritualen ebenso wie das Alltägliche.“

Als Charlotte Schmitz damals nach Balat kam und später in diesem Viertel lebte, wurde sie in den Häusern der Frauen und Familien des Viertels willkommen geheißen. Sie durfte die häuslichen, ruhigen, alltäglichen Momente im Leben der Frauen miterleben und fotografieren, aber auch die ganz besonderen Momente, in denen sie bunte Kleider anzogen, sich stark schminkten und tanzten. Ihre Freunde nannten sie scherzhaft mahalle foto?rafçisi (was auf Türkisch „Nachbarschaftsfotografin” bedeutet).

Im Kontext des Interreg Projektes können wir erkennen, das Fotografien dabei helfen, das Fremde zunächst erst einmal kennenzulernen, um sich ihm dann nähern zu können. Mittels Bildern in die Lebenswelt fremder Menschen oder Gesellschaften einzutauchen, die direkt in der persönlichen Nachbarschaft existieren, kann es uns ermöglichen zu verstehen und Vorurteile abzubauen. Sie sind eine Brücke zum direkten Austausch. Das macht Mut.

Das Buch Balat wurde am 23.09.2025 in Istanbul unter den Frauen und Familien vorgestellt – die internationale Veröffentlichung erfolgt Mitte Oktober. Es besteht aus 220 Seiten; um die 200 Fotos und einem persönlichen Epilog (in DE, TR, und EN).
Photographs and text: Charlotte Schmitz
Curation and editing: Ilg?n Deniz Akselo?lu
Book design: Ania Na??cka-Milach
Published by: VenAmiga, 2025
Um das Buch zu bestellen, schreiben Sie bitte eine E-Mail an: mail@charlotteschmitz.com

Mehr zum Projekt erfahrt ihr unter https://charlotteschmitz.com/balat/

”Die Fremden” ist eine Vortragsreihe über Fremdheit und Zusammenleben, über das Leben nach dem Zweiten Weltkrieg und wie die Ereignisse von damals heute noch die Grenzregion prägen – 80 Jahre nach Kriegsende.

Das Projekt  „Die Fremden – De Fremmede“ wird von Interreg Deutschland-Danmark und der Europäischen Union über den Bürgerprojektfond finanziert.

Die Vorsitzende des Förderausschusses, Kathrine Monsrud Ekelund, erläutert den Grund für die Förderung:

„“Die Fremden“ ist ein bemerkenswertes Projekt mit einer hochaktuellen Agenda, die nicht nur die Grenzregion betrifft. Ich hoffe, dass das Projekt über den lokalen Rahmen hinaus wächst und in ganz Dänemark und Deutschland Verbreitung findet, als Beispiel für die Fähigkeit von Bibliotheken, mit kulturhistorischen und demokratischen Bildungsprojekten zu arbeiten. Ich möchte der Bibliothek von Tønder und den anderen Partnern des Projekts dafür danken, dass sie mit dem Projekt Gespräche anstoßen werden über ein Thema, das nicht nur historisch, sondern auch in den gegenwärtigen Gesellschaften, in denen wir leben, so wichtig ist.“

Die Projektgruppe besteht aus acht Bibliotheken auf beiden Seiten der Grenze unter der Leitung der Stadtbibliothek Tønder und Projektleiter und Philosoph, Tue Søvsø, der auch als Moderator bei vielen der geplanten Vorträge auftreten wird. Das Projekt wird von Interreg Deutschland-Danmark und der Europäischen Union über den Bürgerprojektfond finanziert.

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