…meine Erkrankung. Das Leben mit einer Erkrankung, die neben sichtbaren auch unsichtbare Symptome hat, ist oft belastend und kraftraubend, wenn man auf Unverständnis trifft. Was bedeutet dies für betroffene Menschen im Alltag? Welche Erkrankungen können das sein? Und warum ist es eigentlich oft so schwer und wie kann ich mich verhalten?
Weiterlesen: Das ist was, das du nicht siehst und das ist…Wenn wir an jemanden denken, der eine Erkrankung hat, die mit einer Behinderung einhergeht, dann haben wir oft ein festes Bild vor Augen. Eine Person mit einer Gehstütze zum Beispiel, oder auch im Rollstuhl. Jemand, der eventuell blass ist oder schwach aussieht. Wenn wir an den Behindertenparkplatz denken, so sehen wir oft automatisch eine Person im Rollstuhl vor uns. Dies liegt nicht zuletzt nur an dem hierfür vorgesehenen Piktogramm. Doch bereits hier zeigt sich deutlich, dass auch Menschen, die nicht im Rollstuhl sitzen, den Behindertenparkplatz nutzen dürfen. Ein Asthmatiker, ein Patient mit einer Herz-, Nieren- oder Darmerkrankung, Menschen mit multipler Sklerose. Sie sitzen nicht zwangsläufig im Rollstuhl und doch wurde ihnen mit dem blauen Parkausweis die Nutzung des Behindertenparkplatz ermöglicht. Die Sauerstoffversorgung reicht z.B. nicht für längere Strecken aus; der Weg zu einer Toilette muss möglichst kurz sein. Zu einer Behinderten Toilette, die auch mit dem Rollstuhlfahrer auf dem Piktogramm gekennzeichnet ist. Auch diese darf von Menschen benutzt werden, die nicht auf den Rollstuhl angewiesen sind. Z.B. Patienten mit einem Stoma oder einigen neurologischen Erkrankungen.
Schmerzen, Depressionen, Angststörungen, eine Herz- oder Nierenerkrankung, viele neurologische Erkrankungen, ein künstlicher Darmausgang, Diabetes und viele weitere Krankheiten und Symptome sind oft nicht sichtbar; wohingegen ein gebrochenes Bein mit einem Gips für uns leichter greifbar ist, als eine Erkrankung, die mit unsichtbaren Einschränkungen einhergeht. Die Angst vor dem Unbekannten und dem „richtigen“ Umgang mit Menschen, die auf den ersten Blick „unsichtbar krank“ sind, lösen in uns Unsicherheit oder gar Skepsis aus.
Dies ist für Menschen mit diesen Erkrankungen, Symptomen und Einschränkungen schwierig, oft belastend und die Angst aufzufallen oder angesprochen, gar hinterfragt zu werden, kann einsam und traurig machen. Das Gefühl, ausgeschlossen und nicht verstanden zu werden, ist schlimm. Auch sind Depressionen und andere psychische Erkrankungen immer noch stigmatisiert; man spricht nicht darüber, wohingegen z.B. das gebrochene Bein kein Problem für ein Gespräch darstellt. Dies hat oft zur Folge, dass Betroffene sich unverstanden, ungehört und ausgegrenzt fühlen. Sie meiden die Öffentlichkeit, wollen oft schnell und ohne aufzufallen, wieder nachhause. Das Gefühl vermittelt zu bekommen, ein Hypochonder zu sein, ist ebenfalls nicht selten. Dies führt zu Einsamkeit und ist ein echter Teufelskreis. Diese sozialen Belastungen und andere Anforderungen im Alltag können das Leben von Betroffenen erschweren, bis gar unmöglich machen. Der Stress, der hierdurch entsteht, verschlimmert die Erkrankung und kostet Kraft, die an anderer Stelle fehlt. Auch können die Symptome bei jedem anders ausgeprägt sein, oder wechselnd in ihrer Intensität auftreten, was es weiter erschwert.
In Gesprächen mit Betroffenen verschiedener Erkrankungen und durch meine eigenen Erkrankungen, stellt sich immer wieder heraus, dass wir uns ungehört, allein gelassen fühlen. Gerade auch hier in unserer ländlichen Gegend. Oft fehlt es an Ansprechpartnern, nicht nur für Betroffene, auch für Menschen, die sich informieren möchten. Entweder, weil sie jemanden kennen, der betroffen ist oder um die eigene Unsicherheit im Umgang zu ändern.
Auch ist ein deutlicher Unterschied zwischen dem Empfinden mit diesen Themen und dem Alltag in der anonymeren Großstadt und der ländlichen Gegend zu spüren. Ich kann ein kleines Beispiel nennen. Meine Erkrankung betrifft bei mir überwiegend das Laufen, also eines der sichtbaren Symptome. Meine Gehstrecke variiert im Tagesverlauf und kann von einigen Schritten, bis knapp 30 Metern mit Pausen schwanken. Die Sicherheit beim Gehen ist ebenfalls unterschiedlich gut. Den Untergrund, auf dem ich laufe, spüre ich nicht und oft fühlt es sich an, als würde ich auf Watte laufen oder ins Leere treten. Das wiederum kann von außen niemand spüren. Unter anderem deshalb nutze ich eine Gehstütze. An manchen Tagen ist auch ein Rollstuhl oder Rollator notwendig, z.B. wenn ich längere Strecken zurücklegen möchte. Es macht oft keinen Unterschied beim Laufen, ob ich einen kleinen Absatz von wenigen Zentimetern oder flache Schuhe trage; der Unterschied für mein Körpergefühl, für mein Wohlbefinden, ist jedoch öfters groß. Ich trage gerne schöne Kleider oder Röcke und finde einen Schuh mit einem Absatz dazu einfach attraktiv. Es kam bereits öfters zu der Situation, dass Menschen darüber, oft auch deutlich hörbar für mich, gesprochen haben. „Was soll das denn? Hauptsache Stöckelschuhe, aber eine Krücke!“ Auch Gelächter war dabei nicht selten, zu einem fiesen Ton. Mich hat das beim ersten Mal so traurig gemacht und unangenehm berührt, dass ich mein Vorhaben abgebrochen habe, um so schell wie möglich nachhause zu kommen. Auch mein Gang, der schwankend sein kann, auch in flachen Schuhen, war bereits Anlass dafür mich zu fragen, ob ich mich nicht schäme, am Vormittag bereits betrunken mit Kind einkaufen zu gehen. Hier vermischen sich sichtbare und unsichtbare Symptome, was es nicht leichter macht für Außenstehende.
Eine Patientin, mit der ich im Wartezimmer eines Arztes ins Gespräch kam, erzählte mir, dass sie darauf angesprochen wurde, warum sie im Rollstuhl sitzt. „Sie wäre doch gar nicht behindert, so wie sie aussieht und im Rollstuhl trägt man kein Kleid, High Heels und eine auffällige Schicht Make-up.“ Sie fühlte sich vor den Kopf gestoßen, antwortete jedoch „Warum nicht? Ich bin auf dem Weg zu einem Geburtstag und was hat der Rollstuhl damit zu tun? Wie sieht man denn aus, wenn man behindert ist?“ Verletzt hat es sie; verzweifelt und mit vielen Fragen zurückgelassen. Fragen, die an ihrem Selbstbewusstsein genagt haben. Und nicht nur auf das Aussehen bezogene Aussagen können jeden verletzen. Oft mag Unüberlegtheit ein Grund sein; aber eben auch Unsicherheit. Nach einigen dieser Gespräche habe ich angefangen die Menschen zu fragen, die solche Aussagen getroffen haben, was sie dazu bewegt. Und oft war Unsicherheit oder ein geprägtes Bild, eine gewisse Vorstellung, die nicht getroffen wurde, die Antwort. Es sollte witzig gemeint sein, oder man wusste einfach nichts anderes zu sagen, fühlte sich aber dazu bewegt. Diese Situationen kennen wir alle und es ist eben nicht immer einfach, das richtige zu sagen oder zu tun.
Bei rein unsichtbaren Erkrankungen, wie z.B. einer Angststörung oder einer Depression, wird es noch schwieriger. Niemand kann von außen sehen, wie sich ein Betroffener fühlt. Die Person kann absolut gesund aussehen; geht Einkaufen oder Spazieren, wie jeder andere und gesunde Mensch auch. Und genau hier wird es kompliziert. Zum Beispiel treffe ich einen/ eine Arbeitskollegen/in, der/die an einer Depression erkrankt ist. Ich weiß nicht von der Diagnose, weil es die persönliche Entscheidung eines Betroffenen ist, ob und wem sie/er die Diagnose mitteilt. Sie/er sieht für mich gesund aus, fit und ich habe sie/ihn auch schonmal beim Sport getroffen. Seit einigen Wochen ist sie/er krankgeschrieben und ich sehe sie/ihn beim Einkaufen. Sie/er wirkt äußerlich absolut gesund und ich denke „Komisch, ist sie/er nicht krankgeschrieben? Dabei sieht sie/er gesund und fit aus; absolut nicht krank. Ob sie/er nur keine Lust hat bei dem schönen Wetter zu arbeiten?“ Was ich nicht weiß, sie/er hat genau vor dieser/meiner Denkweise Angst. Angst, als faul abgestempelt zu werden. Angst, dass mehrere Menschen oder Kollegen auch noch miteinander darüber sprechen. Gerüchte entstehen, die sogar den Arbeitsplatz gefährden könnten. Und wegen dieser Angst, geht sie/er eventuell lieber nicht Einkaufen oder Spazieren, obwohl sie/er es gerne möchte und es ihr/ihm sogar sehr gut tun würde. Die Folge sind weitere Isolation, weiterer Stress und eine längere akute Krankheitsphase der Depression; von einem miesen Gefühl ganz abgesehen und eventuell auch noch von einem schlechten Gewissen begleitet. Dabei ist die/der an einer Depression oder Angststörung Erkrankte genau so wenig arbeitsfähig, wie jemand mit einem grippalen Infekt und Fieber oder anderen Krankheiten. Den grippalen Infekt würden wir jedoch sofort sehen, hätten Mitgefühl und würden eventuell sogar „gute Besserung“ wünschen und denjenigen am liebsten selbst ins Bett bringen, um sich auszuruhen. Sehen wir nun eine Depression, Angststörung oder eine andere unsichtbare Krankheit nicht, fehlt uns schnell dieses Mitgefühl, wobei es auch hier immens wichtig und oft sogar heilungsfördernd wäre; der Person zumindest Druck nehmen würde.
Doch was kann ich, was können wir ändern? Was hilft Betroffenen und uns im Umgang miteinander? Zuerst möchte ich euch die Seite der Kontaktstelle für Information und Beratung im Selbsthilfebereich KIBIS in Nordfriesland empfehlen https://www.kibis-nf.de Hier findet man einige Selbsthilfegruppen und Ansprechpartner für verschiedene Krankheiten und auch andere Themenbereiche. Schaut dort gerne mal vorbei. Des Weiteren möchte ich euch ermutigen zuzuhören und einer Empfehlung der Organisation „Aktion Mensch“ zu folgen: nehmt betroffene Menschen ernst; begegnet ihnen nicht mit Sätzen wie „Man sieht dir die Krankheit ja gar nicht an. Kann doch nicht so schlimm sein.“ Es ist für Betroffene sehr anstrengend und stigmatisierend sich immer wieder erklären und rechtfertigen zu müssen. Zeigt Empathie, hört ihnen zu, aber stellt auch gerne Fragen.
Zuletzt eine Sache, die mir als Betroffene schon oft geholfen hat, anderen Menschen meine Situation zu veranschaulichen. „Die Löffel- Theorie“ Diese Theorie wird hier sehr schön erklärt https://www.carenity.de/informationen-krankheit/magazin/ratschlage/die-loffeltheorie-was-ist-das-und-wie-kann-sie-chronischen-patienten-helfen-1040 Die Löffel- Theorie ist ein Gedankenexperiment und funktioniert bei sehr vielen Erkrankungen.
Dieser Artikel ist ausführlich und teilweise sehr persönlich geworden. Es ist mir ein Anliegen und es ist allgemein wichtig, auch diesen Themen Platz und Raum zu geben. Mir selbst immer wieder bewusst zu machen, dass ich nicht alles sehen kann und ein Urteil dann falsch und eventuell sehr verletzend sein kann, ist mir wichtig. Wirklich helfen zu können, dadurch manchmal sogar wunderbare Situationen entstehen lassen zu können, ist eine schöne Erfahrung, zu der ich jeden nur ermutigen kann. Herzliche Grüße und alles Liebe aus der Niebüll Blog Redaktion sende ich euch/Ihnen allen.
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